Thomas Feltes
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Der Kern einer Fehlerkultur in der Polizei: Schutz und Unterstützung von Whistleblowern

 

Fehlerkultur in der Polizei

Polizeiarbeit ist komplex und anspruchsvoll. Schon aus diesen Gründen ist sie auch fehlergeneigt. Zudem ist polizeiliches Handeln immer Interaktion mit Menschen und daher per se konfliktträchtig.

Trotz dieser Erkenntnis und der eigentlich vorhandenen Einsicht, dass dort, wo Menschen arbeiten auch Fehler gemacht werden, tut die Polizei sich schwer im Umgang mit Fehlern. Es mangelt in der Institution an einer positiven Fehlerkultur, die nicht nur darin besteht, Fehler zu erkennen und sie einzugestehen, sondern diese auch als Ansatzpunkt für positive Veränderungen sowohl auf der individuellen, persönlichen, als auch der strukturellen und institutionellen Ebene zu nutzen.

Ein Großteil der polizeilichen Tätigkeit findet sichtbar im öffentlichen Raum statt und ist von unterschiedlicher, teilweise nur in Ansätzen beeinflussbarer Dynamik betroffen (Seidensticker 2019). „Das Verhältnis der Organisation Polizei zu dem Auftreten von Fehlern mag in diesem Kontext verwundern, ist aber zumeist organisationsintern klar: Fehler passieren nicht! Dass diese Einstellung nicht dazu beitragen kann, den Wert und die Möglichkeiten einer gewinnbringenden Nutzung von Fehlern, das Verhüten von oder aber ein systematisches Lernen aus Fehler n zu erkennen, wird dabei schnell deutlich“ (Seidensticker aaO.).

Woher kommt diese Tendenz des in weiten Teilen negativen Umgangs mit Fehlern in der Polizei, der durch das Beziehungsverhältnis von Struktur und Handlung geprägt ist und in dessen Zentrum der handelnde Beamte und sein berufliches Umfeld stehen?

Legalitätsprinzip und Fehler

Neben gruppeninternen und subkulturellen Ursachen für eine mangende Fehlerkultur (Stichwort: blue code of silence) spielen auch das Legalitätsprinzip und die Strafvorschrift der Strafvereitelung im Amt eine Rolle. Das Legalitätsprinzip verpflichtet Polizeibeamte, bei Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für eine (auch von Kollegen) begangene Straftat diese anzuzeigen bzw. zu verfolgen. Geschieht dies nicht, kann sich der betreffende Beamte wegen Strafvereitelung im Amt strafbar machen. Vor dem Hintergrund der polizeilichen Organisations- bzw. Subkultur kann diese Rechtspflicht zu einem massiven Konflikt führen. Wird der Vorfall entsprechend angezeigt, fällt der Beamte negativ durch einen Verstoß gegen den „blue code of silence“ auf.

Die direkten oder indirekten Konsequenzen im Handlungsalltag können beträchtlich sein und bis hin zu Ausgrenzung aus der Gruppe führen. Viele Fallkonstellationen (s. Ruch/Feltes 2025) verdeutlichen, dass das Legalitätsprinzip auch hier unerwünschte Konsequenzen hat. So machen sich Beamte, die sogenannte Widerstandsbeamten in ihren Reihen haben und dies wissen, aber nicht melden, möglicherweise nicht nur der Strafvereitelung im Amt, sondern auch der Beihilfe zur Körperverletzung strafbar.

Im Sinne einer positiven Fehlerkultur in der Polizei sollten solche Vorfälle oder Beobachtungen aber in Ruhe reflektiert werden können, z. B. indem man sich bei Vorgesetzten oder Kollegen rückversichert und um Unterstützung bittet. Auch niedrigschwellige Meldesysteme innerhalb der Polizei könnten für Abhilfe sorgen.

Will man den Weg hin zu einer konstruktiven, polizeilichen Fehlerkultur weiter ausbauen, dann müssen nicht nur entsprechende Hinweisgebersysteme funktionieren, sondern es muss auch sichergestellt sein, dass deren Nutzung das Legalitätsprinzip in diesen Fällen durchbricht. Ansonsten ist zu befürchten, dass es angesichts der weiten Auslegung des Tatbestands der Strafvereitelung für Polizeibeamte nur ratsam sein kann, erlebtes Fehlverhalten nicht zur Anzeige zu bringen, anstatt sich dem strafrechtlichen Vorwurf auszusetzen, verspätet Mitteilung gemacht und damit gegen § 258a StGB verstoßen zu haben.

Auf dem Weg zu einer positiven Fehlerkultur scheinen Sanktionsandrohungen somit nicht in jedem Fall der geeignete Weg zu sein, da sie im Extremfall dafür sorgen können, dass Reflexionsräume verschlossen werden und auf diese Weise eine klandestine Fehlerkultur gefördert wird“ (Ruch/Feltes 2025).

Hinweisgeber oder „Whistleblower“

Ein funktionierendes Whistleblowing-System innerhalb der Polizei ist ein selbstregulatorisches Instrument, mit dem auf Missstände reagiert werden kann. Die Einführung des Hinweisgeberschutzgesetzes (HinSchG, genauer „Gesetz für einen besseren Schutz von Hinweisgebern“) sollte hierzu den rechtlichen Rahmen schaffen. Das Gesetz schützt nach § 1 „Personen, die im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit oder im Vorfeld einer beruflichen Tätigkeit Informationen über Verstöße erlangt haben und diese an die nach diesem Gesetz vorgesehenen Meldestellen melden oder offenlegen“.

Darüber hinaus werden aber auch die Personen geschützt, die Gegenstand einer Meldung oder Offenlegung sind, sowie sonstige Personen, die von einer Meldung oder Offenlegung betroffen sind. Nach § 12 des Gesetzes haben Beschäftigungsgeber „dafür zu sorgen, dass bei ihnen mindestens eine Stelle für interne Meldungen eingerichtet ist und betrieben wird, an die sich Beschäftigte wenden können (interne Meldestelle)“. Zusätzlich muss der Bund eine Stelle für externe Meldungen einrichten (§ 19, externe Meldestelle des Bundes).

Es ist offensichtlich, dass Menschen, die auf Fehlverhalten in Behörden und der Privatwirtschaft hinweisen, wirksam vor Repressalien durch die betroffenen Institutionen geschützt werden; ansonsten wird sich kaum jemand bereitfinden, Fehlverhalten, Straftaten oder Missstände anzuzeigen. In Bezug auf die Polizei existierten bereits vor der Einführung des Gesetzes verschiedene Ansprech- und Beschwerdestellen[1]. Mit dem HinSchG wurden zusätzliche neue Meldestellen geschaffen, um den Schutz von Hinweisgeber weiter zu stärken.

Die Frage ist, ob dieses „mehr“ an Meldestellen tatsächlich das Problem löst, oder ob es nicht andere Ursachen dafür gibt, dass Hinweise innerhalb der Institution Polizei auf Fehlverhalten nach wie vor die absolute Ausnahme sind.

Die Studie

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte hat im März 2025 eine Studie veröffentlicht, die von Daniela Hunold von der HWR in Berlin durchgeführt wurde. Auf der Basis von Interviews in zwei Landespolizeien hat sie untersucht, vor welchen Herausforderungen und Problemen sowohl die Meldestellen als auch (potenziell) hinweisgebende Polizisten stehen.

Die Studie basiert auf 19 qualitativen Interviews, die in Berlin und Schleswig-Holstein durchgeführt wurden, um regionale Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu erfassen. Die Stichprobe setzt sich aus zwei Gruppen zusammen: Neun Experten aus Melde- und Ansprechstellen und zwölf Angehörige der Polizeien, die nicht primär für Aufgaben im Kontext der Untersuchungsthematik abgestellt sind. Dabei wurden sowohl Polizeivollzugsbeamte als auch Tarifbeschäftigte der Polizeien befragt. Die Interviews wurden als leitfadengestützte Gespräche geführt.

Ergebnisse

Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass strukturelle und kulturelle Faktoren innerhalb der Institution weiterhin die Hinweisgabe erschweren.

In Schleswig-Holstein wurde nicht nur die mangelnde Sichtbarkeit der im Innenministerium eingerichteten Meldestelle kritisierten, sondern auch Bedenken hinsichtlich der sozialen und formalen Distanz durch die hierarchische Einbindung der Stelle geäußert. Es wurde befürchtet, dass eine zu starke institutionelle Nähe zur Polizei besteht. Gleichzeitig wisse man nicht, dass die zuständigen Vollzugsmitarbeitenden vom Legalitätsprinzip entbunden sind.

Aus diesen Gründen ist – so die klare Aussage von Hunold - die Einrichtung von Meldestellen nach dem HinSchG in den Innenministerien nicht zu empfehlen. Eine zugängliche Alternative erschien den Interviewten die Meldestelle des Vertrauensanwalts des Landes Berlin, insbesondere aufgrund seiner wahr-genommenen Unabhängigkeit von der Behörde (obwohl sie formal eine interne Meldestelle darstellt). „Allerdings basiert auch dieses Modell auf bereits vorhandenen Strukturen, so dass fraglich bleibt, inwiefern die neuen Zuständigkeiten adäquat berücksichtigt werden (können)“ (S. 50). Zudem liegt der Fokus dieser Stelle bei der Korruption.

Grundsätzlich können Meldestrukturen innerhalb der Polizeiorganisation die Hemmschwelle zur Nutzung senken, dazu müssen sie aber organisatorisch unabhängig sein und nicht der Polizeiführung unterstehen. Zudem müssen Meldeprozesse in jedem Stadium unabhängig von den üblichen formalen Dienstwegen bleiben.

Ein weiteres zentrales Anliegen der in der Studie interviewten Beschäftigen war die Sicherstellung anonymer Meldungen, insbesondere durch die Entbindung vom Legalitätsprinzip (s. dazu oben).

Angesichts dieser Herausforderungen sei es, so Hunold, dringend geboten, die Umsetzung der Meldestrukturen nach dem HinSchG wissenschaftlich zu begleiten und zu evaluieren. Die vorliegende Studie zeige, dass die bisherigen Maßnahmen erstens weitgehend unbekannt seien und daher kaum Wirkung entfalten.

Zweitens bleibe unklar, welche konkreten Effekte die neuen Strukturen für potenzielle Hinweisgeber haben. Vor diesem Hintergrund sollte das HinSchG an die spezifischen Bedarfe der Polizei angepasst werden, um eine effektive Umsetzung zu gewährleisten. Zuständigkeiten, Funktionen und Prozesse müssten eindeutig geklärt und durch ein gezieltes Kommunikationskonzept transparent an die Belegschaft vermittelt werden.

Hunold kommt zu dem Ergebnis, dass das größte Problem bei der Umsetzung des HinSchG in der Polizei der Mangel an Wissen über das Gesetz und die damit verbundenen Meldemöglichkeiten ist. Vielen Beamten seien die Regelungen und Schutzmechanismen des Gesetzes kaum bekannt.

Um die Bekanntheit und Akzeptanz des HinSchG in Polizeibehörden zu erhöhen, schlägt Hunold vor, dass gezielte Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen ergriffen werden, die sowohl Führungskräfte als auch Beamte in allen Laufbahnen erreichen. Dazu bedürfe es einer klaren Kommunikationsstrategie, die sicherstellt, dass alle Mitarbeitenden Zugang zu relevanten Informationen über die Meldesysteme erhalten, ohne dass sie selbst aktiv danach suchen müssen. Ebenso sollten die entsprechenden Meldewege in Mitarbeiterinformationen und Dienstvereinbarungen fest verankert sein.

Entscheidend sei, dass Vorgesetzte aller Hierarchieebenen aktiv in die Entwicklung und Umsetzung dieser Kommunikationsstrategien eingebunden werden. Dies würde, so Hunold, nicht nur die Akzeptanz steigern, sondern auch sicherstellen, dass das Wissen über das HinSchG an die Mitarbeitenden weitergegeben wird.

Letztlich dürften solche Kommunikationsstrategien aber nicht ausreichen. Notwendig ist eine gelebte Führungskultur, in der die Meldung von Fehlverhalten als positiv und nicht als negativ gesehen wird. Vorgesetzte müssen Beamten, die mögliches Fehlverhalten beobachten können, durch klare Ansagen und nonverbale Signale verdeutlichen, dass sie immer und jederzeit ihre Unterstützung haben und dass solche Meldungen für die interne Polizeikultur hilfreich und nicht schädlich sind. Daran mangelt es aber zu oft, denn die Tendenz, Fehler, die gemacht wurden, zu vertuschen, ist keine Strategie, die einzelne Polizeibeamte für sich entwickelt haben, sondern sie ist von Vorgesetzten bis hin zum Innenministerium quasi vorgegeben und somit in der DNA von Polizeibeamten verankert. In einem früheren Beitrag zusammen mit Maurice Punch habe ich darauf verwiesen, dass ich in meiner Zeit als Rektor einer Polizeihochschule (1992 bis 2002) viel über die Polizei, über „innere Führung“ und die Erwartungen, die die Politik an die Polizei hat, gelernt habe.

Die Polizei „muss funktionieren, und das möglichst unauffällig und reibungslos. Umgekehrt erwartet die Polizei entsprechende Rückendeckung: Probleme und Fehler gibt es nicht, weil es sie nicht geben darf; und wenn doch, dann müssen sie möglichst unter der Decke bleiben. Die schon panische Angst der Führung vor öffentlichen oder internen Diskussionen, vor Widerspruch und Fehlern führt im Ergebnis zu einer Paralysierung dieser Institution und ihrer Mitarbeiter. … Die panische Angst vor der öffentlichen Diskussion von Problemen führte soweit, dass Polizeiführer, die sich „erdreisteten“, der „herrschenden Meinung“ zu widersprechen, öffentlich abgestraft oder diszipliniert wurden. Machten sie hingegen handwerkliche Fehler, waren ansonsten aber (auch politisch) angepasst und willfährig, war man im Gegenzug bereit, diese Fehler zu vertuschen oder zu kaschieren. Die tief verwurzelte Einstellung, dass ein Polizeibeamter, der es zu etwas bringen will, primär zu funktionieren habe und am besten überhaupt keine eigene Persönlichkeit haben sollte (weil diese Ecken und Kanten haben und so Probleme machen könnte), produzierte nicht nur skurrile, sondern auch gefährliche Situationen: So wurde der Vorschlag, eine psychologische Beratungsstelle an der Hochschule einzurichten mit dem Hinweis abgelehnt, Polizeibeamte kämen mit „solchen“ Problemen selbst klar. Dass dies nicht der Fall ist, weiß jeder, der sich einmal mit der Prävalenz von Alkoholproblemen, Beziehungskrisen, Selbstmorden und psychischen oder psychisch bedingten Krankheiten in der Polizei beschäftigt hat“.

Kritik der Studie und Resümee

Sicherlich kann man gegen die Studie einwenden, dass die Anzahl der Interviewpersonen zu niedrig gewesen ist und dass andere Methoden (z.B. Fallanalysen) hilfreicher vielleicht gewesen wären. Aber letztlich ist diese Studie deshalb wichtig, weil sie die Diskussion um das Hinweisgebersystem in der Polizei beleben kann – was unbedingt notwendig ist, wie zu Beginn gezeigt.

Solange Whistleblower Stigmatisierung und soziale Sanktionen fürchten müssen, bleibt das Risiko hoch, dass Missstände nicht gemeldet und notwendige Veränderungen blockiert werden. Der Weg zu einer Kultur, in der das Melden von Fehlverhalten als legitimer und geschützter Bestandteil professionellen Handelns betrachtet wird, ist noch weit und hängt maßgeblich vom Verhalten von Führungskräften ab.

Denn selbst das optimalste Hinweisgebersystem kann nicht funktionieren, wenn die betroffenen Polizeibeamten das Gefühl haben, dass sie gegen ihre Vorgesetzten und gegen die lokale Polizistenkultur agieren. Schon aus individuellen, sowie psycho- und sozialhygienischen Gründen[2] werden sich ansonsten Polizeibeamte, die Fehlverhalten beobachten gegen eine Anzeige oder Meldung entscheiden.

Thomas Feltes 24.03.2025

[1] Eine Übersicht über Beschwerdemechanismen in Europa liefern Töpfer und Peter 2017.

[2] Psychohygiene ist die Lehre vom Schutz und dem Erlangen der psychischen Gesundheit. Zur Psychohygiene zählen alle Maßnahmen, die dem Schutz und dem Erhalt der psychischen Gesundheit dienen. Dazu gehören Lebensgewohnheiten und Verhaltensweisen, die Personen unterstützen mit Belastungen (z.B. Stress) umzugehen, sowie tägliche „Pflegemaßnahmen“ für die Seele.

Sozialhygiene befasst sich mit dem Einfluss von Gesellschaft und Arbeit auf die Gesundheit des Einzelnen. So werden z. B. die psychischen und körperlichen Auswirkungen von Stress am Arbeitsplatz untersucht.