Thomas Feltes
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Thema

Die Frage, ob und wie Ausbildung und Studium nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch Persönlichkeiten verändern, ist für jeden Arbeitsbereich relevant – ganz besonders aber für Berufe, deren Vertreter den Rechtsstaat repräsentieren und/oder die Beziehung zwischen Bürger und Staat prägen und beeinflussen. Dies trifft neben Juristen vor allem für Polizeibeamte zu. Seit geraumer Zeit beschäftigt sich die Polizei auch selbst verstärkt mit dieser Thematik. In diesem Beitrag werden zwei empirische Studien aus dem Polizeibereich zur Werteorientierung vorgestellt und kritisch gewürdigt.

  1. Die Studie an der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg

Im Herbst 2021 hatte ein interdisziplinäres Forschungsteam der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg damit begonnen, die Entwicklung von Berufsmotivation und Werteorientierung im Verlauf der Ausbildung und des Studiums zu untersuchen. Dabei geht es darum, „die Entwicklung bzw. Veränderung von Wertorientierungen, (arbeitsbezogenen) Einstellungen und Berufsmotivation sowie den dahinterliegenden Einflussfaktoren in einem größeren Rahmen nachzuzeichnen und zu verstehen. Dies umfasst auch die Analyse von diskriminierenden und rassistischen Haltungen und Verhaltensweisen[1].

Ergebnisse zur Berufswahl und zu eigenen Werten und Einstellungen

Die Befunde zeigen, dass die Berufswahl aus explizitem „Interesse an der Tätigkeit und prosozialen Motivationen“ heraus erfolgt. Die Befragten fühlen sich der Institution „sehr zugehörig“, haben ein „überwiegend positives berufliches Selbstbild, nehmen eine ausgeprägte soziale Unterstützung im Kreis der Kolleginnen und Kollegen wahr und befürworten eine bürgerorientierte Polizeiarbeit, welche auch eine Berücksichtigung der Bedürfnisse und Erwartungen des Gegenübers in der Zusammenarbeit betont“. Ein auf Gehorsam und Machtdurchsetzung fokussiertes, autoritäres Polizeiverständnis sei „deutlich seltener vertreten“. Auch nach den ersten Praxiserfahrungen würde sich die überwiegende Mehrheit noch einmal für den Polizeiberuf entscheiden.

Diese eher vorsichtigen Formulierungen machen deutlich, dass es durchaus einen Teilbereich der Auszubildenden bzw. Studierenden[2] gibt, der ein autoritäres Polizeiverständnis hat und eine Gruppe, die sich nach den Praxiserfahrungen nicht mehr für den Beruf entscheiden würden. Diese beiden Gruppen sollten – aus unterschiedlichen Gründen – näher betrachtet werden. Bei denjenigen mit „autoritärem Polizeiverständnis“ wäre es wichtig zu wissen, woher dieses Verständnis kommt, d.h. konkret ob es Faktoren gibt, die bereits bei Beginn des Studiums vorhanden sind und die als relevant angesehen werden können. Bei denjenigen, die den Beruf nicht mehr wählen würden wäre es wichtig herauszufinden, welche (falschen) Vorstellungen sie vom Polizeiberuf gehabt haben und wie dem (z.B. bei Werbemaßnahmen für die Polizei) entgegnet werden kann.

Die Forschenden haben auch festgestellt, dass sich die Studierenden selbst im Vergleich zur Gesamtbevölkerung als widerstandsfähiger gegenüber herausfordernden Situationen einschätzen, über eine hohe Lebenszufriedenheit berichten und in ihrem privaten Umfeld auf mehr soziale Unterstützung zurückgreifen können. Dabei wird dieser Vergleich mit der Gesamtbevölkerung an nicht anhand anderer, externer Studien hergestellt, sondern indirekt als Fremdbild ermittelt: „Zur Erfassung der wahrgenommenen Verbreitung diskriminierender Einstellungen und Verhaltensweisen wurden die Befragten gebeten einzuschätzen, wie viel % (0-100 %) der Bevölkerung und der Polizei über diskriminierende Einstellungen verfügt und wie viel % dieser Gruppen diskriminierende Äußerungen bzw. Verhaltensweisen aufzeigen“.

Diese Vorgehensweise ist problematisch: Die Polizeistudierenden bilden keinen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung ab (schon alleine wegen der Unterrepräsentation von Menschen mit Migrationshintergrund oder aus sozial schwachen Schichten) und ihre Einschätzung der Einstellungen der Bevölkerung sind daher nicht repräsentativ. So wird lediglich das bereits vorurteilsbehaftete und durch die eigene Sozialisation der befragten Polizeibeamten geprägt Bild von „der Bevölkerung“ abgefragt. Diese Problematik hätte in der Studie intensiver thematisiert werden müssen. Letztlich haben wir es hier mit einer Selbst- vs. Fremdbild-Befragung zu tun, die als solche kenntlich zu machen wäre.

Werteorientierung

Allgemeine Wertorientierungen wurden – so die Forschenden – analog zur Shell-Studie und damit einer externen Vergleichsstudie erhoben. Dabei zeige sich, „dass die Auszubildenden und Studierenden der vorliegenden Studie ähnliche Ausprägungen wie die Teilnehmenden der Shell-Studie aufweisen … und lediglich leichte Abweichungen im Werteprofil zu verzeichnen sind“.

Konkret wurde der Fragenkatalog der Shell-Studie verwendet, die mit Jugendlichen im Alter von 12 bis 25 Jahren durchgeführt wurde – also einer anderen Altersgruppe. Aus dem Bericht der Forschenden ist nicht ersichtlich, ob man auch einen Vergleich der strukturellen Zusammensetzung der jeweiligen Befragten vorgenommen oder eine Sonderauswertung mit vergleichbaren Daten aus der Shell-Studie in Erwägung gezogen hat. Dies wäre aber notwendig, um tatsächlich vergleichbare Daten zu bekommen.

Im Vergleich zur Shell-Studie wird die Durchsetzung eigener Bedürfnisse von den Polizeistudierenden als weniger wichtig wahrgenommen. Dies spreche für eine tendenziell prosoziale Orientierung. Konformismus („das tun, was die anderen tun“) und Konservatismus („am Althergebrachtem festhalten“) werden von den Studierenden als weniger wichtig angegeben als bei der Shell-Studie. Hier könnte – so die Forschenden - die unterschiedliche Altersstruktur einen Einfluss auf die Ausprägung von Selbstständigkeit und Individualität der befragten Personen haben. Dennoch sei diese Beobachtung „erstaunlich und wenig erwartbar, da die Polizei doch eher mit konservativen Wertvorstellungen in Verbindung gebracht“ werde.

Unterschiede zur Bevölkerung zeigen sich dann bei den drei Wertorientierungen „Gesetz und Ordnung respektieren“, „sozial Benachteiligten und gesellschaftlichen Randgruppen helfen“ und „die Vielfalt der Menschen anerkennen und respektieren“. Für alle drei gelte, dass die Relevanz mit zunehmender Praxiserfahrung abnehme. Dies könnte möglicherweise auf negative Erfahrungen mit Bürgern in der täglichen Berufspraxis zurückzuführen sein. Es könnte aber auch auf die Ausbildung selbst zurückzuführen sein, wie dies bei anderen Berufsgruppen (z.B. Juristen) festgestellt wurde.

Nicht thematisiert wird hier (wie generell in der Studie) der Einfluss von anderen Studierenden (Peers) und vor allem von Vorgesetzten auf die Einstellungen der Studierenden. Der sog. „Praxisschock“ kann eben nicht nur durch negative Erfahrungen mit Bürgern erfolgen, sondern auch dadurch entstehen, dass entsprechende Wertorientierungen von Vorgesetzten (manchmal als „Bärenführer“ bezeichnet)  übernommen werden, wobei die Gründe dafür sowohl soziale Erwünschtheit (auch im Hinblick auf die Benotung der Praxistätigkeit) als auch der ausreichend beschriebene subkulturelle Gruppendruck sein können. Solche gruppeninternen wie gruppendynamischen Faktoren lassen sich letztendlich mit einer Befragung nicht oder nur unzureichend abbilden. Hier wäre eine teilnehmende Beobachtung in Einsatz- und formellen wie informellen Gesprächssituationen notwendig und in Ergänzung zum Befragungsdesign hilfreich.

Zudem sollten die Praxisausbilder ebenfalls befragt und deren Werteeinstellungen mit denen der Auszubildenden verglichen werden. Dafür spricht auch die Tatsache, dass sich die Dauer der Praxiszeit auf die politische Orientierung auswirkt: Je mehr Praxis, umso „rechter“. Interessant sind auch Abweichungen von den in der Shell-Studie gemessenen Einstellungen „das Leben in vollen Zügen genießen“ und „einen hohen Lebensstandard haben“. Beides ist für die Polizeiauszubildenden deutlich wichtiger als für die Durchschnittsbevölkerung. Ob und wie sich dies mit den Einschränkungen des Polizeiberufes verbinden lässt, wurde nicht thematisiert, wäre aber für das Thema „Frustration“ im weiteren Verlauf wichtig.

Diskriminierende Einstellungen innerhalb der eigenen Berufsgruppe werden bei ca. 25 % bis 38 % der Kollegen vermutet – hier steigt der %wert mit der Praxiserfahrung. Gleiches gilt auch für diskriminierendes Verhalten. Im Bereich der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF) zeige sich, dass die Befragten zwar hinsichtlich Muslimfeindlichkeit und Fremdenfeindlichkeit vergleichbare Werte wie die Allgemeinbevölkerung (lt. Shell-Studie, also Jugendliche zwischen 12 und 25 Jahren) aufweisen, die Abwertung von Sinti und Roma sowie eine Abwertung von Obdachlosen allerdings unter den Befragten stärker vertreten sei – und mit zunehmender Praxiserfahrung zunimmt.

Insgesamt zeigt sich hier eine wohl realistische Bewertung der Berufskollegen. Erwartbar ist der teilweise deutliche Anstieg der Vermutung diskriminierender Einstellungen bei Kollegen mit zunehmender Praxiserfahrung. Die Tatsache aber, dass etwa bis zu neun von zehn der Befragten davon ausgehen, dass Fehlverhalten (Mobbing, diskriminierendes Verhalten, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz) in der Polizei vorkommt, muss erschrecken. Auch wenn diese nach dem bekannten Muster als „Einzelfälle“ eingestuft werden: Dieses Ergebnis muss Anlass geben, konkreter bei Auszubildenden nachzufragen, welche „Einzelfälle“ dies sind, wenn sie aus den Praxisphasen zurückkommen und ob sich hier nicht doch strukturelle oder persönliche Regelmäßigkeiten (wie z.B. durch sog. „Widerstandsbeamte“) erkennen lassen.

Begründung der Veränderungen während des Studiums und der Ausbildung

Mit steigender Erfahrung nehmen positive Haltungen und Einstellungen gegenüber der eigenen beruflichen Rolle, aber auch gegenüber Bürgerinnen und Bürgern statistisch bedeutsam ab, während sich negative Selbst- und Fremdbewertungen bzw. -zuschreibungen verstärken. Die Forschenden erklären dieses Ergebnis damit, dass es im Rahmen der Berufsausübung zu Veränderungen im Selbst- und Weltbild komme, „was als Praxisschock gedeutet werden könnte“. Gemeint sei damit die Diskrepanz zwischen einer „idealisierten Erwartung an den Beruf verbunden mit der eigenen Handlungswirksamkeit und den dann tatsächlich gemachten inner- wie außerorganisationalen Berufserfahrungen“.

Zudem könnten konfliktgeladene oder unbefriedigende Interaktionen mit Bürgern, externen Institutionen (z. B. Gerichten) sowie innerhalb der Polizei – so die Forschenden - zu einem „erhöhten Frustrationserleben“ zu führen, „ein Gefühl mangelnder Anerkennung und Wertschätzung zu befördern und das eigene Selbstwirksamkeitserleben negativ zu beeinflussen“.

Diese zunehmende Frustration, gepaart mit dem Praxisschock, ist weder neu noch überraschend. Die Polizei selbst trägt zu teilweise überhöhten Erwartungen an den Beruf des Polizisten z.B. in ihrer Werbung bei. Zudem tut sie in der Ausbildung zu wenig, die Resilienz der Auszubildenden zu stärken, indem diese nicht ausreichend auf das „wirkliche Leben“ auf der Straße vorbereitet werden. Wenn der NRW-Innenminister Reul dann auch noch darauf hinweist, dass junge Polizisten zunehmend aus gesellschaftlichen Schichten kämen, in denen sie über keine eigene Gewalterfahrung verfügen und daher „robuster“ werden müssten, dann wird dabei zwar das Grundproblem erkannt, nur die Lösung ist mehr als fragwürdig – was auch die Tatsache zeigt, dass in den Medien dies mit „Harte Kante, weniger polizeilicher Kuschelrock“ (Fokus) kommentiert wurde. Wer fordert, dass die Polizei „gewaltfähiger” werden muss und dies u.a. mit der (sozialen) Herkunft der (jüngeren) Polizeibeamten begründet, der verstärkt diesen (negativen) Praxiseffekt noch und erhöht die Gefahr, dass Polizeibeamte noch häufiger frustriert sind, resignieren oder zu Zynikern werden.

Die hohen Anteile an psychischen Erkrankungen, an Alkohol-, Drogen- und Beziehungsproblemen sowie Suiziden (lt. einer Studie der Ev. Kirche in Deutschland ist hier die Rate dreimal so hoch wie in der Bevölkerung) in der Polizei machen ebenso wie die zahlreichen „inneren Kündigungen“ deutlich, dass der Beruf besonders fordernd und anspruchsvoll ist und angesichts einer immer komplexer werdenden Gesellschaft noch anspruchsvoller wird. Dabei sind es weniger die polizeilichen Alltagsprobleme, die solche Auswirkungen haben, als der falsche Umgang mit diesen Belastungen, die fehlende Empathie der Vorgesetzten, das mangelhafte Angebot an Supervision und Coaching und vor allem der noch immer vermittelte Eindruck, nur ein starker Polizist sei ein guter Polizist.

Ein ‚Health-Oriented Leadership‘-Ansatz, wie er in Niedersachsen entwickelt wird (Pracht), könnte hier Abhilfe schaffen. André Schulz und ich haben die Problematik in einem aktuellen Beitrag zum Compliance-Management für die Polizei beschrieben und den Zusammenhang von Führungsversagen und mangelnder Fehlerkultur als institutioneller Risikofaktor benannt. Einen „Praxisschock“ als Erklärung für solche Werte- und Einstellungsveränderungen, wie sie in der vorlegenden Studie beschrieben werden, zu bemühen, greift zu kurz. Es muss Aufgabe der Ausbildungseinrichtung sein, dem entgegenzuwirken.

Wenn sich – so die Forschenden - auch die politische Orientierung mit zunehmender Praxiserfahrung ins Konservative verändere und das zwischenmenschliche Vertrauen sinke und die Ablehnungswerte gegenüber marginalisierten Gruppen mit zunehmender Praxiserfahrung ansteigen, dann kann man als möglichen Grund für diese Veränderungen eine Abstumpfung benennen, welche im Laufe der Berufserfahrung durch wiederkehrende Ereignisse mit bestimmten Gruppen stattfinde. Eine „Abstumpfung sowie eine Zunahme an Zynismus durch die polizeiliche Tätigkeit andererseits“ kann und darf aber nicht ohne Reaktion von Seiten der Ausbildungseinrichtung und vor allem des Dienstherrn (Innenministerium) bleiben. Wenn lokale Medien fragen, wie zynisch man bei der Polizei wird, dann genügt es nicht, wenn einer der Forschenden im Interview mit der „Schwäbischen“ sagt, dass das, was Beamte auf der Straße erleben, das eigene, möglicherweise idealisiertes Bild verändert. Es ist nun mal bekannt, dass die Polizei überproportional mit negativen Erfahrungen zu tun hat, die immer mehr zunehmen. Und genau darauf muss die Ausbildung vorbereiten.

Zur Methodik

Generell sind Längsschnittvergleiche ein sehr gutes Instrument, um Veränderungen z.B. bei Einstellungen und Werten zu messen. Allerdings gilt hier wie generell bei der Analyse von empirischen Ergebnissen der Vorbehalt, dass man eigentlich nie sog. „Störvariablen“ wirklich ausschalten kann, d.h. Faktoren, die neben oder sogar über die untersuchten Variablen (hier vor allem die Effekte der Ausbildung) hinaus sich auf die Ergebnisse auswirken. Während man bspw. eine generelle Verstärkung konservativer oder punitiver Einstellungen in der Bevölkerung im Laufe der Zeit berücksichtigen kann, gilt dies nicht für bestimmte gruppenbezogene Faktoren wie bspw. politische Konstellationen oder auch sich mit Sicherheit stark auswirkende individuelle Veränderungen (Heirat, Scheidung, Krankheit u.a.m.). Dies zu berücksichtigen ist methodisch aufwändig und anspruchsvoll und es bleibt abzuwarten, ob dies den Forschenden gelingen kann.

Die methodische und strukturelle Problematik von Längsschnittvergleichen besteht zum anderen darin, vergleichbare Gruppen zu finden bzw. im Idealfall die gleichen Personen zu befragen, die in der vorgehenden Befragung teilgenommen haben. Dies ist aus Datenschutzgründen in der Allgemeinbevölkerung inzwischen nur noch mit erheblichem Aufwand möglich. So hatten beispielsweise die Tübinger Kollegen in ihrer Längsschnittstudie zu kriminellen Karrieren (Tübinger Jungtäter-Vergleichsuntersuchung) den Teilnehmenden jeweils an Weihnachten eine Karte geschickt – vor allem, um zu überprüfen, ob die Meldeadresse noch stimmt. Im vorliegenden Projekt haben die Forschenden dies so gelöst, dass zu zehn geplanten Befragungszeitpunkten jeweils drei bis sechs Ausbildungs- bzw. Studienjahrgänge befragt werden. Ziel sei eine Vollerhebung aller zum Zeitpunkt der Befragung an der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg befindlichen Auszubildenden und Studierenden bestimmter Jahrgänge. Alle Personen erhielten einen personalisierten Einladungslink, um an der Befragung teilzunehmen. Des Weiteren sollten die Befragten einen personalisierten Code erstellen, welcher es für zukünftige Auswertungen möglich machen wird, die Datensätze miteinander zu verbinden.

Insgesamt muss man dieses Forschungsprojekt an der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg durchaus positiv bewerten, und zwar nicht nur, dass es überhaupt durchgeführt wird oder werden kann (vergleichbare Studien waren bis vor kurzem immer wieder von Innenministerien abgelehnt worden, z.T. mit hanebüchenen Begründungen, meist aber ganz offensichtlich, weil man Angst vor den Ergebnissen hatte). Auch der methodische Ansatz und Aufwand ist hervorzuheben, der deutlich macht, dass sich die Polizeihochschule, die ursprünglich (d.h. konkret bis 1992) als reine „Schule“ gesehen wurde, weiterentwickelt hat. Während damals (1995) Wissenschaft verteufelt wurde und gar in den Kontext von „Scharlatanerie“ gestellt wurde, sieht es heute anders aus. Es bleibt zu hoffen, dass auch die entsprechenden personellen und finanziellen Ressourcen, um solche oder vergleichbare Forschungen durchzuführen, zur Verfügung gestellt werden.

Die bereits angesprochenen zusätzlichen Fragestellungen und Konsequenzen für die Ausbildung (auch in der Praxis) müssen allerdings konsequent umgesetzt werden, damit Studien wie diese sich aus positiv und konstruktiv auf die Polizei auswirken können. Die im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der vorliegenden Ergebnisse von Polizeigewerkschaftern aufgestellten Forderungen nach mehr Supervision, Fortbildungen und Resilienzschulungen gerade für junge Beamte nehmen nur das auf, was Polizeiwissenschaftler wie Rafael Behr und ich seit vielen Jahren fordern. Die Einstellung „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“, die frühere Führungsgenerationen prägte (vgl. Feltes/Punch), muss überwunden, geeignete Unterstützungsangebote müssen systematisch bereits in der Ausbildung greifen.

Zumindest vereinzelt scheinen sich negative Sichtweisen weniger aus eigenen Erfahrungen heraus zu speisen, sondern vielmehr einem allgemeinen Diskurs zu folgen, wie dies bspw. an der wahrgenommenen gesellschaftlichen Verrohungstendenz erkennbar ist. Wenn diskriminierende Haltungen und Einstellungen gegenüber dem Bürger bzw. unkorrekte Verhaltensweisen innerhalb der Polizei als existent wahrgenommen werden, muss darauf reagiert werden, und zwar konstruktiv, nicht negativ-sanktionierend. Gleiches kann für die Gründe für Schweigen gelten, insofern die Befunde nahelegen, dass vor allem die Sorge vor Repressalien innerhalb des kollegialen Umfelds einer guten Fehlerkultur im Wege stehen könnten.

Das zentrale Untersuchungsinteresse des Projekts besteht in der Frage, wie sich Motivationen und Einstellungen von Auszubildenden und Studierenden im Verlauf entwickeln. Wenn schon jetzt sich als wesentliches Ergebnis abzeichnet, dass mit steigender Erfahrung positive Haltungen und Einstellungen wie prosoziale Orientierung, Vertrauen, oder das Gefühl sozialer Anerkennung und erlebter Wertschätzung für die geleistete Arbeit statistisch bedeutsam abnehmen und umgekehrt negative Bewertungen von bestimmten Personengruppen, bspw. Stereotypen bezogen auf marginalisierte Gruppen zunehmen, dann…

Bemerkenswert ist – so die Forschenden -, dass die mit dem Eintritt in die Polizei verknüpften Vorstellungen des Berufsalltags bereits durch erste Praxiserfahrungen erheblich irritiert und frustriert werden.

Was (leider) nicht untersucht wird/wurde

Die Forschenden betonen selbst, dass ihre Studie nicht den Studienerfolg sowie die (soziale) Zusammensetzung der Studierenden thematisieren konnte (oder wollte?). In einer früheren Studie konnten wir für Bochumer Studierende nachweisen, dass folgende Faktoren den Studienerfolg beeinflussen: Die Abiturnote, die soziale Herkunft und der finanzielle Spielraum während des Studiums. Ähnliche Ergebnisse sind aus der Bildungsforschung bekannt, und es wäre interessant zu erfahren, ob und ggf. welche Ergebnisse bei Polizeistudierenden vorliegen würden, vor allem vor dem Hintergrund der inzwischen doch mit 25% oder mehr relativ hohen Abbruch- und Nichtbestehens des Studiums.

Zudem sind auch Zusammenhänge zwischen der sozialen Herkunft einer Person und ihren (Werte-)Einstellungen inzwischen gut erforscht. Auch Zusammenhänge zwischen der (auch in der vorliegenden Studie thematisierten) Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF) und der sozialen Herkunft und Lage sind bekannt, z.B. aus den Bielefelder „Mitte-Studien“ von Zick u.a. Daher wäre es sinnvoll und auch im Interesse der Vergleichbarkeit der Ergebnisse der Studie aus Villingen-Schwenningen mit anderen Forschungen notwendig, auch diese Daten zu erheben und auszuwerten. Vielleicht kann dies im weiteren Verlauf noch nachgeholt werden.

  1. Das Projekt „Werte im BKA“[3]

Ziel und Methode

Um den „anstehenden Generationenwechsel werteorientiert zu begleiten“ (so das BKA), wurde in 2022 eine Studie „Werthaltungen und wertbezogene Erwartungen der Mitarbeiter / -innen des BKA“ durchgeführt. Anhand 60 qualitativer Interviews sowie einer Online-Befragung mit über 1.800 Teilnehmenden beleuchtete sie das „Werteverständnis der BKA-Mitarbeitenden und dessen Umsetzung im Arbeitsalltag“. Zum Forschungsprojekt gehört zudem eine Langzeitstudie über das Werteverständnis bei Berufsanfängern im BKA. Dafür geben 40 angehende Kriminalkommissarinnen und -kommissare in qualitativen Interviews bis 2029 wiederholt Auskunft zu ihren Wertvorstellungen. So soll herausgefunden werden, wie sich die unterschiedlichen Ausbildungsstationen und typischen Erfahrungen im Rahmen der Berufspraxis auf die Werteorientierungen der Anwärterinnen und Anwärter und letztlich auch auf ihre langfristige berufliche Integration auswirken.

Wertehaltungen

Um die „Wertehaltungen“ zu ermitteln, wurde gefragt, wie bedeutend die Beschäftigten eine Reihe von aus dem deutschen Grundgesetz abgeleiteten Werten erachten, und ob es ihnen gelingt, ihre Arbeit im Einklang mit diesen Werten auszuüben. Im Ergebnis wird von den Beschäftigten fast allen Grundwerten eine hohe Bedeutung beigemessen. „Es zeigen sich in den durchschnittlichen Antworten auch keine wesentlichen negativen Diskrepanzen zwischen Soll und Ist. Das bedeutet, die BKA-Beschäftigten stellen im Durchschnitt bei keinem der abgefragten Grundwerte einen Konflikt zwischen Anspruch und Wirklichkeit fest“. (Dieses und die folgenden Zitate stammen aus der Kurzfassung).

Auch sog. „Arbeitswerte“ der BKA-Beschäftigten wurden erhoben. Die wichtigsten Arbeitswerte sind demnach: eine verständnisvolle und gerechte Führungskraft, eine gesicherte berufliche Zukunft und gute „räumlichtechnische“ Arbeitsbedingungen zu haben. Deutliche Lücken zwischen dem, was die Beschäftigten sich wünschen, und den Arbeitsbedingungen, die sie in der Praxis vorfinden, zeigen sich beim Arbeitswert Leistung, worunter das Gefühl verstanden wird, die Ergebnisse der eigenen Anstrengungen sehen zu können und »wirklich etwas geleistet zu haben«, beim Arbeitswert Altruismus, also dem Gefühl, anderen Menschen mit der eigenen Arbeit zu helfen, bei der Bewertung der Führungskraft als verständnisvoll und gerecht, bei der Bewertung der Aufstiegsmöglichkeiten und bei den Möglichkeiten zur kreativen Entfaltung, im Sinne der Beteiligung an der Entwicklung von neuen Ideen und Dingen.

Diskriminierung

Von den Befragten gaben 14 % an, sich als Teil einer in Deutschland diskriminierten Gruppe zu sehen. Die Forschenden schließen daraus, dass - im Vergleich zu einer bundesdeutschen Vergleichsstudie des European Social Survey (ESS, 2018), wo der Wert bei 9 % liege - im BKA überproportional viele Personen arbeiten, die sich als Teil einer in Deutschland diskriminierten Gruppe verstehen. Diese Diskrepanz könnte, so die Forschenden, „Ausdruck einer von der Bevölkerung abweichenden demografischen Zusammensetzung oder einer besonderen Sensibilität für Diskriminierungshandlungen sein“.

Von den Befragten gaben 19 % an, dass sie innerhalb der zwölf Monate vor der Befragung miterlebt haben, wie sich Kollegen gegenüber anderen Kollegen diskriminierend verhalten haben. Dabei wird in 48 % dieser Fälle geschlechtsbasierte Diskriminierung als Grund angegeben. Sexuelle Belästigung gaben lediglich 2 % der Beschäftigten an. Bezogen auf die gesamte Beschäftigungsdauer beim BKA, also über den Zwölf-Monats-Zeitraum hinaus, gaben 21% der befragten Frauen an, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erfahren zu haben.

Rechts-Links-Positionierung, Verbreitung rassistischer und sexistischer Ansichten und Befürwortung von Autorität und Ungleichheit

Auf einer Skala von 0 für sehr links und 10 für sehr rechts positionieren sich die BKA-Beschäftigten im Durchschnitt „mittiglinks“. Den Durchschnitt der Bevölkerung und ihrer Kollegen verorten die Befragten mittig mit sehr leichter Tendenz nach rechts. Dieser Befund ist sei, so die Forschenden, nicht unplausibel, „da das BKA im Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt eine überproportional junge und gebildete Belegschaft aufweist, mit einem hohen Streben nach den Werten Benevolenz und Universalismus“. Aus Sicht der BKA-Beschäftigten sind rassistische Ansichten im BKA deutlich weniger als in der allgemeinen Bevölkerung verbreitet, werden aber im Durchschnitt dennoch 21 % der Beschäftigten zugeschrieben. Die Verbreitung sexistischer Ansichten im BKA wird mit 23 % ähnlich geschätzt. Gemessen wurde auch die Zustimmung der BKA-Beschäftigten zu autoritären Einstellungen und zu sozialer Dominanzorientierung. Der Vergleich zu Referenzdaten (Beierlein et al. 2014) ergibt, dass autoritäre Einstellungen am BKA durchschnittlich verbreitet sind. Soziale Ungleichheiten und gesellschaftliche Hierarchien werden im BKA im Vergleich zur Bevölkerung in etwas niedrigerem Maß befürwortet.

Fazit der BKA-Studie

Aus Sicht der Forschenden lassen sich im Ergebnis die folgenden zwei als besonders wesentlich erachteten Schlussfolgerungen identifizieren: „Die BKA-Beschäftigten schreiben rund 20 % der Beschäftigten rassistische und/oder sexistische Ansichten zu. Sie haben eine durchschnittlich stark ausgeprägte Tendenz zu autoritären Einstellungen und eine unterdurchschnittliche Tendenz dazu, Ungleichheiten zwischen verschiedenen sozialen Gruppen als gerechtfertigt anzusehen. Dennoch kann der selbst geschätzte Anteil von Beschäftigten mit diskriminierenden Ansichten noch nicht zufriedenstellend für eine Behörde mit den hohen verfahrens- und verfassungsmäßigen Ansprüchen des BKA sein“. Und weiter: „Im Durchschnitt haben die Beschäftigten einen größeren Anspruch an die Wirkung ihrer Arbeit, an ihre persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten und an das Verhältnis zu ihrer Führungskraft, als sie diese beim BKA vorfinden. Qualifikationsunterforderung ist – insbesondere bei jüngeren Beschäftigten – ein weit verbreitetes Gefühl am BKA, das auch wesentlichen negativen Einfluss auf die Arbeitszufriedenheit hat“.

Bewertung der Studie

Die BKA-Studie umfasst im Vergleich zur Studie der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg deutlich weniger Aspekte und sie berücksichtigt vor allem keine zeitlichen Dimensionen. Dies ist für Folgestudien vorgesehen. Auch methodisch bleibt sie deutlich hinter der Studie aus Villingen-Schwenningen zurück, die viel differenzierter angelegt ist. Vor allem aber mangelt es in der BKA-Studie an der notwendigen methodischen Selbstkritik – auch hier im Gegensatz zur Studie aus Villingen-Schwenningen. Aus der Beschreibung zur Methodik (Langbericht S. 17) ergibt sich, dass im Erhebungszeitraum 8.121 Personen beim BKA beschäftigt waren. Den Forschenden lagen aber lediglich 1.843 vollständig ausgefüllte Fragebögen vor, womit sich 23 % an der Befragung beteiligt haben.

Eine Auseinandersetzung mit der Frage, wie die für eine behördeninterne Befragung sehr niedrige Rücklaufquote erklärt werden kann, finden sich nicht. Ebenso wird weder hier noch an anderer Stelle die Problematik der sozialen Erwünschtheit von Antworten thematisiert, was gerade bei einer vom Dienstherrn in Auftrag gegebenen Studie unbedingt notwendig gewesen wäre. 

Zudem entsprach zwar die Altersverteilung sowie die Verteilung der Beschäftigungsarten (Vollzugsbeamte, andere Beamte und Tarifbeschäftigte) weitgehend sog. „Zielwerten“, die jedoch nicht näher definiert wurden. Frauen waren höher beteiligt als Männer. Ob und wie hier eine entsprechende rechnerische Datenkorrektur bzw. Gewichtung erfolgte, wird nicht mitgeteilt. Zudem unterschied sich die Beteiligung nach Status- und Entgeltgruppen: Beschäftigte des einfachen/mittleren Diensts oder der Entgeltgruppen 1 bis 8 sind unterproportional vertreten, Beschäftigte des höheren Dienstes oder der Entgeltgruppen 13 bis 15 überproportional.

Auch hier gehen die Forschenden nicht darauf ein, ob es zwischen den einzelnen Geschlechter- oder Statusgruppen inhaltliche Unterschiede gegeben hat und wie die ggf. erklärbar sind. Selbst eine Differenzierung nach Lebensalter erfolgt nur ansatz- bzw. gruppenweise, hier dargestellt am Beispiel der sexuellen Diskriminierung: „Unterschieden nach Alter, geben die jüngeren Beschäftigten eine höhere Betroffenheit an: In der Altersgruppe 15 bis 29 Jahren sind es 4 % der Befragten, in der Altersgruppe 30 bis 39 Jahre 3 % und bei Befragten ab 40 Jahren 1 %. Entsprechend wird mit einem Wert von 10 % die höchste Betroffenheit von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz bei Frauen im Alter von 15 bis 29 Jahren ermittelt“. Vertiefende Analysen oder Berechnungen findet man (zumindest im derzeit vorliegenden Abschlussbericht) nicht, ebenso wie eine Differenzierung nach Dienstalter oder auch nach Ausbildungswerdegang (extern oder intern) fehlt.

Insgesamt überwiegt in Bezug auf die BKA-Studie der Eindruck, dass hier eine Chance verschenkt wurde und der Eindruck, dass man mit dieser Studie eher eine lästige Pflicht erfüllen als tatsächlich Ansatzpunkte für behördeninterne Veränderungen finden wollte, überwiegt. Man darf gespannt sein, wie dies bei zukünftigen Studien in diesem Kontext gehandhabt werden wird. Zum Forschungsprojekt gehört nämlich auch eine „Langzeitstudie über das Werteverständnis bei Berufsanfängern“. Dafür werden 40 angehende Kriminalkommissare in qualitativen Interviews bis 2029 wiederholt befragt. So soll herausgefunden werden, „wie sich die unterschiedlichen Ausbildungsstationen und typischen Erfahrungen im Rahmen der Berufspraxis auf die Werteorientierungen der Anwärterinnen und Anwärter und letztlich auch auf ihre langfristige berufliche Integration auswirken“.

Bearbeitungsstand des Manuskripts: 25.02.2025

[1] Hinweis zur „gendergerechten Schreibweise“: Nachdem eine Umfrage unter den Lesern des PNL ergeben hatte, dass man hier (aus verschiedenen Gründen) die männliche Schreibweise bevorzugt, will ich mich auch in diesem Blog daran orientieren. Die gewählte männliche Form bezieht sich immer zugleich auf weibliche, männliche und diverse Personen. Auf eine Mehrfachbezeichnung wird in der Regel zugunsten einer besseren Lesbarkeit verzichtet.

Hinweise zur Zitierweise: In diesem Blog gehe ich – entgegen der sonstigen wissenschaftlichen Gepflogenheiten – relativ großzügig mit Zitierungen um. Plagiatsjäger könnten hier also fündig werden – wobei ich davon ausgehe, dass die Autoren der verwendeten Quellen mit der Art und Weise meiner Quellenverwendung einverstanden sind, weil es letztlich darum geht, ihre Ergebnisse einer (noch) breiteren Öffentlichkeit zur Kenntnis zu bringen. Wichtiger als formal richtige Zitate sind mir wörtliche Zitate aus den Quellen, die ich immer mit „“ kenntlich mache. Ebenso mache ich immer deutlich, was meine eigene Meinung zu bestimmten Themen oder Ergebnissen ist – in der Regel durch eine entsprechend anders gefärbte Schrift (hier blau).

[2] In der Studie wurden sowohl Auszubildenden, als auch Studierende der „Hochschule für Polizei“ Baden-Württemberg befragt. Wenn im folgenden Text von „Studierenden“ die Rede ist, sind immer auch Auszubildende mitgemeint.

[3] https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/Publikationen/WerteimBKA/werteimbka_node.html