Thomas Feltes
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Ausgangslage
Unter physiologischen Stressbedingungen müssen Polizeibeamte manchmal in Sekundenbruchteilen Entscheidungen über Leben und Tod treffen, wobei Leistungsdefizite tragische Folgen haben können. In einer aktuellen kanadischen Studie wurde die Leistung von 122 Polizeibeamten im aktiven Dienst während eines realistischen Szenarios mit tödlicher Gewalt untersucht, um festzustellen, ob die Leistung durch den Ausbildungsstand der Beamten, ihre Dienstjahre bei der Polizei und ihre Stressreaktivität beeinflusst wurde.

Ergebnisse
Die Ergebnisse zeigten, dass das Szenario zu einer erhöhten Herzfrequenz (d. h. 150 Schläge pro Minute) sowie zu Wahrnehmungs- und kognitiven Verzerrungen, wie z. B. einem Tunnelblick, führte. Die durchschnittliche Leistungsbewertung des Szenarios lag bei 59 %, wobei 27 % der Teilnehmer mindestens einen Fehler bei der Anwendung tödlicher Gewalt machten. Eine erhöhte Stressreaktivität war ein Prädiktor für eine schlechtere Leistung und mehr Fehler bei der Anwendung tödlicher Gewalt. Das Ausbildungsniveau und die Dauer des Polizeidienstes hatten unterschiedliche und komplexe Auswirkungen auf die Leistung und die Fehler bei der Anwendung tödlicher Gewalt. Die Ergebnisse verdeutlichen die Notwendigkeit, die polizeilichen Ausbildungspraktiken kritisch zu reflektieren und weiterhin evidenzbasierte Verbesserungen der Ausbildung vorzunehmen. Sie verdeutlichen auch, dass Schulungen zwar die Ergebnisse deutlich verbessern können, eine fehlerfreie Leistung aber angesichts der Grenzen der menschlichen Leistungsfähigkeit unter Stress wahrscheinlich nicht möglich ist.

Methodik
Eingesetzt wurden Fragebogen, Pulsmessuhren, szenariobasiertes Waffentraining, Stressweste und -gürtel sowie Videoaufzeichnung Mit einem demografischen Fragebogen wurden Alter, Geschlecht, Dienstjahre, Erfahrung in der Strafverfolgung, Ausbildung, selbst angegebene Herz-Kreislauf-Erkrankungen und die Einnahme von Medikamenten, die das Herz-Kreislauf-System beeinträchtigen könnten, erfasst. Die Häufigkeit des Alkohol-, Tabak- und Koffeinkonsums sowie die Häufigkeit der sportlichen Betätigung wurden ebenfalls erfasst. Zusätzlich wurden Geräte zur Überwachung der Stressreaktivität eingesetzt. Und zwar Herzfrequenz-Messuhren. Diese zeichnen kontinuierlich die Herzfrequenz und die R-R-Intervalle (d. h. die Schlag-zu-Schlag-Intervalle) und wurden bereits in früheren Studien verwendet. Sie wurden auch anhand von Elektrokardiogrammen in Krankenhausqualität validiert. Außerem wurden die Teilnehmer mit einer sog. „StressVest“ ausgestattet, einem projektilfreien System, das ein realistisches szenariobasiertes Waffentraining ermöglicht. Die Dienstpistolen sind so umgerüstet, dass sie einen Laserimpuls abfeuern, der die StressVest® aktiviert, wenn er die Körpermitte, die Seite oder den Kopf trifft. Bei einem Treffer gibt der StressX® PRO-Gürtel entweder eine Vibration oder einen Schock an den Unterleib des Teilnehmers ab. Das System löst nachweislich eine Stressreaktivität aus, die anhand der Herzfrequenz gemessen wird und die dem Training mit nicht-tödlicher Trainingsmunition entspricht. Um die Leistung der Teilnehmer zu kodieren, wurde jedes Szenario mit drei GoPro-Kameras aufgezeichnet, die an zentralen Stellen im Untersuchungsgebiet angebracht waren. Alle Teilnehmer trugen außerdem einen Eye-Tracker.

Das Szenario
Wie im Zusatzmaterial (link dazu im Beitrag)) näher beschrieben, wurden die Teilnehmer einem Szenario mit tödlicher Gewalt ausgesetzt. Das Szenario fand in einem Gebäude statt. Alle Teilnehmer wurden zu einer Wohnung gerufen, weil eine weibliche Beschwerdeführerin anzeigte, dass eine männliche Person stark getrunken und gegen seine Bewährungsauflagen verstoßen habe. An diesem Punkt sagte der Moderator: „Szenario läuft“, und die Teilnehmer hatten die Möglichkeit, die Zentrale um zusätzliche Informationen zu bitten, wenn sie dies wünschten.

Der Beitrag enthält umfassende Ausführungen zur verwendeten Methodik und zur Interpretation der Ergebnisse. https://www.polizei-newsletter.de/links.php?L_ID=1188