Thomas Feltes
Zum Anfang

Vertrauen in die Polizei bei Muslimen und Migranten

Der Beitrag geht der Frage nach, was wir zum Vertrauen in die Polizei von Muslimen und Menschen mit Migrationshintergrund wissen und welche Rolle dieses Vertrauen für die Polizeiarbeit aktuell und in der Zukunft spielt. Ausgangspunkt dazu ist eine Studie aus Australien, die der Frage nachgeht, wie eine stigmatisierte Gruppe (Muslime) die Behandlung durch die Polizei antizipiert und welche Auswirkungen dies auf das Vertrauen in die Polizei hat. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Ausmaß, in dem Menschen Diskriminierung oder ungerechte Behandlung durch die Polizei antizipieren, mit ihrem Vertrauen in die Polizei zusammenhängt.

  1. Die Ausgangslage in Deutschland

Derzeit leben etwa sechs Millionen Muslime in Deutschland (das sind rund 6 % der Wohnbevölkerung), 25 Millionen haben einen Migrationshintergrund (das sind rund 30 %, Tendenz steigend). Schätzungen gehen davon aus, dass es bis zu 10 Millionen im Jahr 2030 sein werden. Nach den rund 45 Millionen Angehörigen christlicher Kirchen (50 % der Gesamtbevölkerung) bilden muslimische Menschen mit deutlichem Abstand die zweitgrößte religiöse Bevölkerungsgruppe in unserem Land.

2023 wurden die Ergebnisse einer bundesweiten Repräsentativbefragung veröffentlicht, die das Thema "Muslimisches Leben in Deutschland 2020" hatte. Sie war im Auftrag der Deutschen Islam Konferenz durchgeführt worden. Danach nehmen Menschen mit Migrationshintergrund aus muslimisch geprägten Herkunftsländern Benachteiligungen in Alltagsituationen, bei der Benotung in der Schule, bei der Arbeits- und Wohnungssuche anteilig häufiger wahr als Menschen ohne Migrationshintergrund. Türkeistämmige Personen berichten häufiger von Diskriminierungserfahrungen als Personen mit Migrationshintergrund aus Südosteuropa. Muslimische Frauen, die ein Kopftuch tragen, sehen sich in allen untersuchten Bereichen mit höherer Wahrscheinlichkeit benachteiligt als muslimische Frauen, die kein Kopftuch tragen. Im Ergebnis fassen die Autorinnen der Studie zusammen, dass sich viele Menschen aus muslimisch geprägten Herkunftsländern nicht als gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft anerkannt sehen.

Im Oktober 2024 hat ein Bericht der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte gezeigt, dass jede zweite Person muslimischen Glaubens in der EU in ihrem Alltag mit Rassismus und Diskriminierung konfrontiert ist. Diese Zahl ist seit 2016 stark gestiegen. Deutschland liegt mit 68 Prozent weit über dem EU-weiten Durchschnitt. Muslimische Frauen, Männer und Kinder werden dabei nicht nur wegen ihrer Religion zur Zielscheibe, sondern auch wegen ihrer Hautfarbe und ihres ethnischen Hintergrunds oder weil sie Migranten sind. Besonders betroffen sind junge Muslime, die in der EU geboren sind.

Ein „Zivilgesellschaftliches Lagebild antimuslimischer Rassismus“ hat für 2023 gezeigt, dass täglich im Schnitt mehr als fünf antimuslimische Übergriffe in Deutschland stattfinden, darunter Diskriminierungen, verbale und körperliche Angriffe oder Sachbeschädigungen. Dabei war ein Anstieg von mehr als 100 % im Vergleich zum Vorjahr festzustellen. „Menschen werden zur Zielscheibe, weil sie muslimisch sind, oder weil man annimmt, sie seien muslimisch –aufgrund der Sprache, des Namens, der tatsächlichen oder zugeschriebenen Herkunft oder des Aussehens“.

Aufgrund der verschiedenen Vorfälle im Jahr 2024 dürfte sich diese Entwicklung bis heute eher verschärft haben, entsprechend ist die Zahl islamfeindlicher Delikte stark angestiegen. Die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion Gruppe Die Linke im Deutschen Bundestag zur Islamfeindlichkeit und antimuslimische Straftaten im vierten Quartal 2024 hat dies gezeigt.

Muslimfeindlichkeit ist nicht nur in der Gesellschaft weit verbreitet (Schätzungen gehen von einem Anteil von 50% der Deutschen Bevölkerung aus), sondern auch eine Alltagserfahrung für viele Muslime in Deutschland. Muslimfeindlichkeit gefährdet den gesellschaftlichen Zusammenhalt und ist deshalb ein Problem für die Gesamtgesellschaft. Aber nicht nur deshalb: Wenn Muslime oder generell Migranten in Deutschland das Vertrauen in die Polizei verlieren (und die Ereignisse rund um den NSU-Skandal haben dazu ebenso beigetragen wie die in den letzten Monaten immer wieder bekanntgeworden rassistischen Vorfälle in der Polizei), dann …

Die Zunahme bei muslimfeindlicher Einstellung in der Polizei hat auch die MEGAVO-Studie nachgewiesen. Die Studie beinhaltete auch Fragen hinsichtlich der Einstellung der Polizisten in Bezug auf Minderheiten und Autoritarismus. Dort hat sich im Vergleich der beiden Befragungszeiten (2021/22 und 2023) eine Zunahme bei der Muslimfeindlichkeit abgezeichnet. In der zweiten Befragungsrunde stieg der Anteil derjenigen, die einer muslimfeindlichen Einstellung zustimmten auf 17 Prozent an. 42 Prozent der Befragten waren Asylsuchenden gegenüber ablehnend eingestellt. Vor allem aber: Jeder Dritte berichtet über rassistische Äußerungen in der Polizei. Man darf dabei davon ausgehen, dass nicht nur die Definition dessen, was innerhalb der Polizei als „rassistisch“ gesehen wird, eine andere ist als in weiten Teilen der Bevölkerung, sondern auch unterstellen, dass sich in dieser Befragung der Effekt der „sozialen Erwünschtheit“, den wir bei Befragungen immer wieder beobachten, bemerkbar gemacht hat. Die tatsächlichen Werte dürften daher (vielleicht sogar deutlich) höher liegen.

  1. Muslime, Überwachung und Vertrauen in die Polizei: Die Studie aus Australien

Gleichzeitig sind Muslime einer verstärkten Überwachung durch die Polizei und die breite Öffentlichkeit ausgesetzt. Dieses Misstrauen wurde mit dem mangelnden Vertrauen der Muslime in die Polizei in Verbindung gebracht. Bislang gab es jedoch keine Forschungsarbeiten, die untersucht haben, wie die Erwartungen der Migranten an ihre Behandlung diese Ansichten beeinflussen. Unter Verwendung eines explorativen qualitativen Designs untersucht diese Studie, wie eine stigmatisierte Gruppe (Muslime aus dem Nahen Osten, die in Sydney, Australien, wohnen) die Behandlung durch die Polizei antizipiert (also erwartet) und welche Auswirkungen diese erwartete (Un-)Gerechtigkeit auf das Vertrauen hat. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Ausmaß, in dem Menschen Diskriminierung oder ungerechte Behandlung durch die Polizei antizipieren, mit ihrem Vertrauen in die Polizei zusammenhängt, und zwar sowohl bei Personen, die zuvor positive als auch negative Erfahrungen mit Polizeibeamten gemacht haben. Die Studie unterstreicht außerdem die Dualität des individuellen Vertrauens und die Frage, unter welchen Bedingungen die Menschen der Polizei vertrauen, dass sie oder andere fair behandelt werden.

Das methodische Design

Die Studie ist Teil eines größeren Projekts, das die Wahrnehmung der polizeilichen Voreingenommenheit unter Muslimen der ersten und zweiten Generation mit Wohnsitz in Sydney, Australien, untersucht. Dabei geht es um die wahrgenommene polizeiliche Behandlung von Bürgern, den Kontakt mit Polizeibeamten und die Viktimisierung. Nach Abschluss der Umfrage wurden die in der ersten Studie Befragten gefragt, ob sie an einer Folgestudie interessiert wären. Dies bildete den ersten Stichprobenrahmen für die Interviews, die in Phase 2 geführt wurden. Von hier aus wurden sowohl Schneeballproben als auch die eigenen Netzwerke des Autors genutzt, um spätere Teilnehmer zu rekrutieren.

Die stützt sich auf halbstrukturierter Interviews mit 12 Muslimen, die 2019 durchgeführt wurden. Alle Interviews wurden an öffentlichen Orten wie Cafés, Bibliotheken und Parks geführt. In jedem Ort wurde eine ruhige Gegend abseits anderer Gäste gewählt, um sicherzustellen, dass die Teilnehmer ihre Erfahrungen teilen konnten, ohne sich um andere zu kümmern. Die Interviews dauerten im Durchschnitt 47 Minuten (von 28 bis 78 Minuten). Jeder Teilnehmer erhielt eine 50-Dollar-Geschenkkarte für seine Zeit.

Die Interviews wurden verwendet, um die Wahrnehmung der Teilnehmer über fünf Themenbereiche zu sammeln: ihr Vertrauen in die Polizei; ihre Erfahrungen mit der Polizei; wie sie erwarteten, dass sie von Polizeibeamten angesehen und während informeller Stationen behandelt würden und schließlich die Wahrscheinlichkeit, Verbrechen zu melden.

Zu den identifizierten Themen gehörten: Anerkennung individueller Unterschiede zwischen Polizeibeamten; Verhalten und Änderung des Aussehens, um negative polizeiliche Aufmerksamkeit zu vermeiden; erwartete Behandlung durch die Polizei; wahrgenommene polizeiliche Voreingenommenheit, die auf der Lokalität basiert; externe Auswirkungen auf das Vertrauen und Vorschläge, wie die Polizei die Beziehungen zu Mitgliedern der Gemeinde des Nahen Ostens verbessern könnte.

Die wesentlichen Ergebnisse

Während die meisten Teilnehmer Vertrauen in die Polizei hatten, gaben vier Teilnehmer an, dass sie sich über die Polizei unsicher seien und folglich vorsichtig mit ihren Interaktionen. Dies wurzelte in der Wahrnehmung, dass Polizeibeamte oft aggressiv, einschüchternd und respektlos waren. Auf die Frage nach ihren Erfahrungen mit der Polizei diskutierten fast alle Befragten über individuelle und/oder stellvertretende Erfahrungen informeller Polizeistopps.

Auf die Frage, wie sie die Polizei insgesamt sehen, zögerten drei Viertel der Teilnehmer, breite Verallgemeinerungen über „die Polizei“ als eine einzigartige Einheit zu machen. Sie erklärten, dass der örtliche Polizeidienst aus einzelnen Beamten mit ihren eigenen Persönlichkeiten, Erfahrungen und Vorurteilen bestand. Dementsprechend behaupteten die Teilnehmer, dass es weder möglich noch genau sei, den Dienst als homogene Gruppe zu bewerten. Vielmehr erklärten sie, dass die Qualität der Behandlung, die man von einem Polizeibeamten erhält, von dem bestimmten Polizeibeamten abhängt, dem man begegnet. Diese Differenzierung unterstreicht die multidimensionale Wahrnehmung der Bürgerwahrnehmung der Polizei, die über vereinfachende Verallgemeinerungen hinausgehen.

Fast die Hälfte der Teilnehmer gab an, dass ein Polizeibeamter, der sich ihnen näherte, Angst auslöst. Sie führten dies darauf zurück, nicht zu wissen, wie sich diese Interaktion entwickeln könnte. Bemerkenswert ist, dass Teilnehmer mit größerer persönlicher Erfahrung mit der Polizei berichteten höher Unsicherheit über ihre Behandlung. Hier war die bloße Möglichkeit einer schlechten Behandlung und der Unvorhersehbarkeit von Polizeibegegnungen mit der Nervosität über polizeiliche Interaktionen verbunden.

Alle vier weiblichen Interviewpartner gaben an, dass sie als Frauen glaubten, dass die Polizei sie wahrscheinlich gut oder besser behandeln würde, als sie einen muslimischen Mann behandeln würden. Dies wurde von fast der Hälfte der männlichen Teilnehmer wiederholt, die die Ansicht teilten, dass die Polizei muslimische Frauen besser und mit mehr Fairness behandelt, als sie normalerweise muslimische Männer behandeln.

Die Polizei ist auf Bürger angewiesen, um effektiv auf Verbrechen zu reagieren und Straftaten aufzuklären. Ohne Unterstützung durch Zeugen können nur die wenigsten Taten aufgeklärt werden. Daher kann eine Zurückhaltung oder gar Ablehnung, mit der Polizei zusammenzuarbeiten, schwerwiegende Auswirkungen auf die öffentliche Sicherheit haben. Diejenigen, die das Gefühl haben, dass die Polizei und die breitere Gesellschaft sie als verdächtig ansehen, werden wahrscheinlich Begegnungen mit Beamten vermeiden. Forschungen deuten darauf hin, dass die Stigmatisierung der Bürger beeinflussen kann, wie Menschen Interaktionen mit Polizeibeamten beurteilen, auch wenn sie objektiv und respektvoll behandelt werden.

Während Misshandlung durch die Polizei oder Machtmissbrauch mit ziemlicher Sicherheit zu einer negativen Wahrnehmung der Polizei führen wird, bleibt unklar, ob diejenigen, die Ungerechtigkeit erwarten, eine faire Behandlung als solche wahrnehmen, wenn sie sich ereignet. Um diese Lücke zu schließen, untersucht diese Studie, wie Muslime erwarten, während der täglichen Begegnungen von der Polizei behandelt zu werden, und ob bzw. wie antizipative Wahrnehmung von Gerechtigkeit mit ihrem Vertrauen in die Polizei zusammenhängt.

Vertrauen wird auf unterschiedliche Weise konzipiert und definiert. Wenn es um die Polizei geht, ist das Vertrauen der Bürger größer, wenn man glaubt, dass die Polizei sich fair und rechtsstaatlich verhält. Ob Vertrauen verliehen wird, hängt auch davon ab, inwieweit man glaubt, dass die Polizei ihre Aufgaben respektvoll und professionell erfüllen wird. Vertrauen, oder ein Mangel daran, basiert auf einer anhaltenden Beziehung zwischen Polizeibeamten und Bürgern und eigenen oder übermittelten Erfahrungen mit der Polizei. Wenn Menschen zu einer stigmatisierten Gruppe gehören oder polizeiliche Voreingenommenheit wahrnehmen, zeigen sie weniger Vertrauen in die Polizei. Diejenigen, die sich stärker stigmatisiert fühlen, vertrauen der Polizei weniger und stehen einem polizeilichen Kontakt eher skeptisch gegenüber.

Polizeibeamte, die sich fair und respektvoll verhalten, können Vertrauen fördern. Dabei spielt aber auch die Erwartung eine wesentliche Rolle. Wer erwartet, von der Polizei nicht fair und respektvoll behandelt zu werden, der entwickelt kein Vertrauen in die Polizei und ist eher nicht bereit, mit ihr zusammenzuarbeiten.

Die Auswirkungen von „vorausschauender“ bzw. erwarteter Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit sind noch zu wenig empirisch untersucht. Die aktuelle Studie versucht zu verstehen, wie Mitglieder einer stigmatisierten Gruppe erwarten, von der Polizei behandelt zu werden, und wie dies mit ihrer Vertrauensvergabe an die Polizei zusammenhängt.

Die Studie hat auch festgestellt, dass Menschen, die mehr Kontakt mit der Polizei hatten, weniger sicher sind, ob sie fair behandelt werden. Auf diese Weise bringen sie bestimmte Erwartungen in den Kontakt ein, wie die Polizei sie behandeln wird. Wenn aber die Qualität der polizeilichen Behandlung von zentraler Bedeutung für die Beurteilung des Vertrauens und des Vertrauens in die Polizei ist, dann muss zum einen untersucht werden, wie dieser Zusammenhang genauer zu erklären ist und wie das Vertrauen der Bürger in die Polizei positiv beeinflusst werden kann.

Kritik und Einschränkungen

Die Ergebnisse basieren auf einer recht kleinen Anzahl von Interviews in einem Gebiet von Sydney, Australien. Angesichts der geringen Anzahl von Interviews und der Verwendung des Schneeballsystems besteht die Möglichkeit, dass die Ergebnisse verzerrt sind und nicht alle Themen und Aspekte des Vertrauensverhältnisses zwischen Bürger und Polizei abdecken. Angesichts des explorativen Charakters dieser Studie bieten die hier vorgestellten Ergebnisse aber einen guten Ausgangspunkt, um mit weiteren Untersuchungen ein breiteres Verständnis dafür zu schaffen, wie stigmatisierte und nicht stigmatisierte Gruppen von der Polizei behandelt werden.

  1. Die Lage in Deutschland: Was müssen wir tun?

Im März 2025 ist in einem Gastkommentar des islamischen Theologen Scharjil Khalid in der taz von „fataler Normalisierung“ im Kontext von rechten und vor allem fremdenfeindlichen Narrativen die Rede. Gemeint ist die Tatsache, dass sie sich immer stärker den Weg in die gesellschaftliche Mitte bahnen. Den Vorteil davon haben vor allem rechtspopulistischen Parteien, allen voran die AfD, die zwischenzeitlich in Bevölkerungsbefragungen sogar die CDU ein- bzw. überholt hatte. Aber auch etablierte Parteien greifen zunehmend die migrations-skeptischen Narrative auf. Damit normalisieren sie Positionen, die einst als extrem galten. So stellt das Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften bereits 2023 fest, dass einwanderungsfeindlicher Sprachgebrauch den Wähleranteil rechtsextremer Parteien erhöht.

Migranten werden zunehmend als politische Sündenböcke instrumentalisiert und migrantische Jugendliche übernehmen diese Sündenbock-Funktion im Bereich der inneren Sicherheit, sie dienen der Gesellschaft als wohlfeile Ausrede, die Schuld bei anderen zu suchen (und zu finden). Kritik an den Schlagzeilen findet sich selten, und wenn Wissenschaftler die Bewertung der Zahlen in Frage stellen, in dem sie feststellen, dass es zwischen Herkunft und Kriminalität keinen signifikanten Zusammenhang gibt und stattdessen die Kriminalitätsrate vor allem durch den Wohnort von Tätern sowie andere demografische Faktoren bestimmt wird, dann werden sie selbst als voreingenommen kritisiert.

Generell stellt Scharjil Khalid fest, dass Muslime unter Generalverdacht stehen und oft vorschnell ein Analogieschluss von „Migrantenkriminalität“ hin zum „Islamismus“ gezogen wird. „Die Zahlen sprechen jedoch eine andere Sprache: Die Anzahl der „islamistischen Gefährder“ liegt laut BKA bei „nur“ 483 Personen – das entspricht lediglich 0,0085 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime. Während etwa 6 Millionen Muslime aufgrund von lediglich 500 Personen unter Generalverdacht gestellt werden, rückt die eigentliche Gefahr in den Hintergrund: der Rechtsextremismus. 2023 gab es laut Verfassungsschutzbericht 40.600 Rechtsextremisten in Deutschland“.

Wenn aber fast die Hälfte der unter Fünfjährigen heute einen Migrationshintergrund hat, dann braucht man nicht besagten Adam Riese zu bemühen um festzustellen, dass diese Menschen nicht das Problem, sondern die Zukunft unseres Landes sind – und zwar ungeachtet möglicher Einschränkungen bei Migrationsbewegungen. Diese Menschen sind bereits in Deutschland, und sie werden Deutschland hoffentlich nicht verlassen, denn wir brauchen sie. Die Zusammenhänge zwischen Migration und demographischem Wandel sind ausreichend erforscht. Diese Menschen stellen auch deswegen unsere Zukunft dar, weil wir ein massives Problem des Fachkräftemangels haben. Bis 2035 gehen 18 Millionen Menschen in den Ruhestand, während nur 11 Millionen nachrücken. Diese Lücke kann ohne Zuwanderung unmöglich geschlossen werden.

Ablenkung von den wirklichen Problemen durch die Definition von Sündenböcken ist kein neues Phänomen. Die Fokussierung auf Migration als Problemthema lenkt von anderen, weitaus größeren Herausforderungen ab. So entgehen dem deutschen Staat jedes Jahr jeweils über 100 Milliarden Euro durch Steuerhinterziehung und Geldwäsche – von anderen Formen der Wirtschaftskriminalität ganz zu schweigen.

Diskriminierung von Minderheiten zerstört aber auch das Vertrauen in Staat. Wenn mehr als die Hälfte der rassistisch markierten Menschen regelmäßig Benachteiligung erfährt, dann gehen damit oft auch psychische Probleme einher, wie der Bericht des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor (NaDiRa) zeigt. Danach gaben 54 Prozent der zwischen 2022 und 2024 befragten rassistisch markierten Personen gaben an, mindestens einmal pro Monat Diskriminierung zu erfahren.

Besonders betroffen sind muslimische und Schwarze Frauen sowie Schwarze Männer. In diesen Gruppen berichten jeweils fast zwei Drittel der Befragten, dass sie regelmäßig benachteiligt werden. Auch beim Kontakt mit der Polizei kommt es oft zu Diskriminierung: 19 % der muslimischen und 18 % der Schwarzen Männer berichten von solchem Verhalten von Polizisten.

Die Umfrage zeigt aber auch, welches Gedankengut sich hinter diskriminierendem Verhalten verbirgt. Demnach hat etwa jeder Fünfte in Deutschland gefestigt rassistische Überzeugungen und stimmt etwa Aussagen zu, dass ethnische und religiöse Minderheiten in den letzten Jahren wirtschaftlich mehr profitiert hätten, als ihnen zusteht. Ungefähr so viele finden auch, dass Minderheiten ungerechtfertigterweise mehr Gleichberechtigung fordern.

Jeder Dritte Diskriminierungsbetroffene zeigt mittlere bis schwere Anzeichen von Depressionen oder Angststörungen. Eikmanns stellt in der taz dazu fest: „Daraus lässt sich zwar noch nicht ablesen, dass diese Symptome direkt auf die Diskriminierungserfahrungen zurückgehen. Der Vergleich mit nichtbetroffenen, aber ebenfalls rassistisch markierten Menschen, von denen nur 10 Prozent solche Symptome haben, lässt aber erahnen, wie groß der psychische Druck durch Benachteiligung sein dürfte“.

Auch auf das Vertrauen in Staat und Gesellschaft haben Diskriminierungserfahrungen laut NaDiRa-Monitor starken Einfluss. Der Anteil derjenigen, die angeben, dem Staat zu vertrauen, hat im Untersuchungszeitraum (2022 – 2024) über alle Gruppen hinweg abgenommen, bei muslimischen und Schwarzen Menschen sank der Wert aber auffallend stark um rund 20 Prozentpunkte. Besonders rapide sank das Vertrauen in Behörden und Ämter unter denjenigen, die von Polizisten diskriminiert wurden. Unter Muslimen ohne solche Erlebnisse gaben 87 Prozent an, dem Staat zu vertrauen, unter denjenigen mit Diskriminierungserfahrung durch die Polizei waren es nur noch 19 Prozent.

Schlussendlich machen die hier vorgestellten Ergebnisse deutlich, dass es im Kontakt zwischen Polizei und Bürger mit Migrationshintergrund um mehr geht als um die Frage, ob (einzelne?) Polizeibeamte rassistisch agieren. Es geht auch und vor allem darum, dass diese Interaktionen weit über den konkreten Einzelfall hinaus Wellen schlagen und Vertrauen in die Polizei und unseren Staat zerstören. Auch wenn es nur Stein ist, der ins Wasser geworfen wird: Die Wellen, die er verursacht, sind erheblich. Jeder Mensch lebt in einem mehr oder weniger großen sozialen Umfeld, in das diese Erfahrungen transportiert werden. Dieses Umfeld ist bei Menschen mit Migrationshintergrund meist deutlich größer als bei „eingeborenen Deutschen“, die zunehmend in Kleinstfamilien oder alleine leben. Entsprechend sind die Wellen, die durch unfaire, ungerechte oder gar rechtswidrige polizeiliche Handlungen ausgelöst werden, wesentlich stärker und breiter – und dazu genügt es, dass sie als solche wahrgenommen werden.

Vor allem der Polizeikontakt zu und mit Jugendlichen spielt in diesem Kontext eine wichtige Rolle. Die Autoren einer deutsch-französische Studie hatten gezeigt, dass die Polizeipraktiken in den beiden Ländern sehr unterschiedlich sind und darauf hingewiesen, dass weitere Forschungen in diesem Bereich notwendig sind.

Möglicherweise realisiert die Polizei (noch) nicht, dass sie sich so mittel- bis langfristig die Basis gegenseitigen Vertrauens zerstört, die abstrakt betrachtet Grundlage unseres demokratischen Gemeinwesens ist und konkret besehen Auswirkungen auf die präventive und repressive Funktion der Polizei hat. Die Aufklärung von Straftaten setzt eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Bürgern voraus. Wer diese bewusst oder unbewusst untergräbt, setzt die auch die Funktion der Polizei bei der Aufklärung von Straftaten aufs Spiel.

Zudem hat die internationale Polizeiforschung (gezeigt, dass polizeiliche  Legitimität Auswirkungen auf gesetzesbezogenes Verhalten hat, und dass umgekehrt die Gerechtigkeit der Verfahren, durch die Autorität geschaffen und umgesetzt wird, die Legitimität beeinflusst. Die auf Legitimität basierende rechtliche Autorität ein wichtiger Forschungsbereich in der Polizeiwissenschaft und Kriminologie. Entsprechend wurden mit Gary LaFree und Tom R. Tyler 2024 zwei Kriminologen mit dem Stockholm Preis für Kriminologie gewürdigt, die sich mit eben diesem Thema der „democratic legitimacy and procedural justice in policing democracies“ beschäftigt haben. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass Menschen sich gesetzestreuer verhalten, wenn sie erleben, dass Polizei und Justiz sich legitim verhalten, die Abläufe fair sind und Menschen gleich behandelt werden. Polizei und Justiz können dadurch nicht nur ihre Akzeptanz, sondern die Einhaltung ihrer Anweisungen und Entscheidungen verbessern. Ein solches Vorgehen minimiert den Widerstand und die Feindseligkeit, die häufig durch Zwang und Autorität alleine hervorgerufen werden. Das auf Legitimität basierende Modell von Polizeiarbeit hat, so Tyler, außerdem den Vorteil, dass es die Menschen in der Gemeinschaft besser zur Zusammenarbeit ermutigt, was die Identifizierung und Verfolgung von Straftätern erleichtert. Schließlich unterstützt es die langfristige Entwicklung, indem es das soziale, wirtschaftliche und politische Engagement der Einwohner in ihren Gemeinden fördert.

Und letztlich: Ungeachtet der Frage, ob die Polizei insgesamt ein strukturelles Rassismus- und Diskriminierungsproblem hat: Die Handlung jedes einzelnen Polizeibeamten hat (Aus-)Wirkungen auf den oder die davon Betroffenen. Sich dessen bewusst zu sein, ist auch und besonders angesichts des unzweifelhaft herausfordernden Alltags vor allem im Schicht- und Streifendienst der Polizei immer wieder notwendig.

Dabei ist es auch sinnvoll, sich mit den sog. „Selbstschemata“ (also persönliche Theorien über die Autorität der Polizei) zu beschäftigen, wie dies eine aktuelle Studie der Universität Bielefeld tut (s. dazu den Hinweis im PNL Mai 2025). Besonders das Verständnis der eigenen individuellen und der institutionellen Autorität spielt, wie wir wissen, bei polizeilichen Interaktionen eine große Rolle.

Ebenso ist es Aufgabe der unmittelbaren Dienstvorgesetzten, durch beständige Kommunikation mit den Mitarbeitenden, aber auch durch Kontrollen und die Ausarbeitung von signifikanten Ereignissen dafür Sorge zu tragen, dass die Tatsache ständig bewusst ist, dass Polizeibeamte nicht nur das Gewaltmonopol repräsentieren, sondern den Staat insgesamt.

Thomas Feltes, 24.04.2025